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Rainer Lüdtke – Ein Grußwort zum Abschied und Wünsche für den Weg

Von Prof. Harald Walach | 12.Dezember 2011


Es muss im Sommer 1993 gewesen sein, als ich Rainer Lüdtke zum ersten Mal begegnet bin, vielleicht auch ein Jahr früher. Er hatte gerade als Statistiker bei der Carstens-Stiftung angeheuert. Ich hatte gerade meine Promotionsarbeit publiziert, eine experimentelle homöopathische Arzneimittelprüfung mit allen Schikanen, die mir damals eingefallen sind: doppelt verblindet, placebo-kontrolliert, mit Crossover und Baseline und Tagebuch für ein kategoriales Symptomensammelsystem, das idealerweise noch für viele andere Prüfungen herhalten sollte.

Die Studierenden des Wilseder Forums, einer Studentenorganisation, die die Carstens-Stiftung ins Leben gerufen hatte, hatten mich eingeladen in irgendein Kaff in der Lüneburger Heide. Das Taxi setzte mich am Rande des Schutzgebietes ab und ich stapfte ein paar Kilometer durch den Regen zum Tagungshaus, zwischendurch ernsthaft an meiner Mission zweifelnd. Diese Zweifel wurden durch Rainer Lüdtkes methodisch-statistische Kommentare zu meiner Arbeit nicht gerade gelindert. Ich kann mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern. Mir wurden nur damals Zusammenhänge klar, die mir in einer Fülle von methodischen Beratungen durch Methodiker, Statistiker, Berater und auch meine eigene nicht gerade sparsame Lektüre von methodisch-statistischer Literatur verborgen geblieben waren.

Solche Erfahrungen bleiben haften und sind gewissermaßen ikonografisch. In diesem Fall für die Ikonografie von Rainer Lüdtke als das methodisch-statistische Gewissen der komplementärmedizinischen Forschung.

Selten habe ich auch eine derart gute Kombination von Kritik erlebt, die klar und hart in der Sache ist und doch verbindend und wohlwollend im Ton und in der Beziehung. Mir scheint, es ist eine deutsche Marotte, vielleicht auch eine deutsche Marotte unter Akademikern, mit Kritik auch immer eine subtile, von Häme nicht ganz freie Abwertung des Kritisierten zu verbinden, aus der dann auch gleich noch die Überlegenheit des besser Informierten hervorleuchtet. Nicht umsonst ist „schadenfreude“ neben „angst“, „rucksack“ und „kindergarten“ eines der wichtigsten deutschen Lehnwörter im Englischen (übrigens ist „handy“ mittlerweile dazugekommen). Nichts von alledem habe ich je bei irgendwelcher Kritik gesehen, die von Rainer Lüdtke kam, sei es in meine Richtung oder zu anderen. Auch das ist bildprägend: Seine Kritik ist immer sachlich richtig und persönlich verbindend gewesen und hat vor allem die Sache und das Feld weitergebracht.
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Brücke zur Mainstream-Biometrie

Damit wurde er zu einem wichtigen und tragenden Element der noch jungen komplementärmedizinischen Forscherszene. Er bildete sozusagen einen Brückenpfeiler zur Mainstream-Biometrie, die in Deutschland vorgab, wie klinische Studien zu organisieren und auszuwerten sind, brachte er doch das relevante Wissen aus den entsprechenden Zentren in Dortmund und Göttingen mit. Es macht einen großen Unterschied aus, ob man (wie wir Psychologen) Methodik und Statistik als Anwender – sozusagen „ad usum delphini“ – gelernt hat oder von der Picke auf.

Ich habe jedenfalls die Überheblichkeit des Anwenders, der glaubt, er verstehe die Statistik, wenn er weiß, wie er ein Computerprogramm bedienen und die ausgegebenen Daten interpretieren kann, rasch aufgegeben, nachdem ich einige Kontakte mit professionellen Statistikern hatte – und die mit Rainer Lüdtke gehörten zu den lehrreichsten für mich.

Fast eine ganze Generation von Forschern – Doktoranden und Leute, die sich auf dem Gebiet der komplementärmedizinischen Forschung vertieften – haben von Rainer Lüdtkes profundem Wissen profitiert. Bei einer ganzen Reihe von wichtigen Publikationen war er dabei. Dabei hat ihn bis auf wenige Ausnahmen immer das Schicksal des Biometrikers ereilt. Der hat nämlich mit jeder Studie viel Arbeit und Aufwand und wenig Ehre. Sein Platz auf den Publikationslisten ist meistens irgendwo in der „et alii“-Liste der vielen Autoren und selten der Ehrenplatz am Schluss oder wichtige Platz des Erstautors.
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Re-Analyse von Shang et al. 2005

Eine der wenigen Ausnahmen ist die wichtige Publikation im Journal of Clinical Epidemiology (Lüdtke, R., & Rutten, A. L. B. (2008): „The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials“ (Journal of Clinical Epidemiology, 61, 1197-1204.). In dieser Re-Analyse der viel zitierten Meta-Analyse von Shang und Kollegen aus dem Lancet von 2006 weist Rainer Lüdtke nach, dass den Autoren der originalen Analyse ein wichtiges Detail ihrer eigenen Daten entgangen ist, genauer gesagt, dass sie höchstwahrscheinlich klaren Blickes auf eine normalerweise übliche Austestung der Robustheit ihrer Ergebnisse verzichtet haben. Er liefert die Sensitivitätsanalyse nach, die eigentlich in der originalen Publikation hätte enthalten sein müssen. Diese ergibt, dass dann, wenn man mehr Studien in die Analyse einschließt, als dies Shang und Kollegen getan haben, eine signifikante Überlegenheit von Homöopathie gegenüber Placebo festzustellen ist. Damit zeigte sich, dass die viel beschworene angeblich nachgewiesene Unwirksamkeit von Homöopathie, auf die sich Kritiker gerne stützen, alles andere als nachgewiesen und klar ist.
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Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch das folgende
Interview mit Rainer Lüdtke im DZVhÄ Homöopathie.Blog.

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Eine Reihe anderer Studien und Projekte hat Rainer Lüdtke federführend mitbetreut und damit die Forschung auf dem Feld befruchtet. Als Schriftleiter der Zeitschrift „Forschende Komplementärmedizin“ war er nicht nur ein wichtiger Gutachter sondern auch ein Torhüter für Studien und Ergebnisse, die es in die Öffentlichkeit schafften und solchen, die den Standards nicht genügten. Damit hat er sich viel Respekt und Anerkennung erworben. Ich kenne keinen im Feld, der an Rainer Lüdtkes Urteil leichten Gewissens vorbeigegangen wäre.
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Großer Verlust für die CAM-Forschung

Nun hat er sich für die letzte Hälfte seines professionellen Lebens ein neues Tätigkeitsfeld gesucht und geht in die Projektentwicklung beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Das ist ein Aufstieg. Denn als Statistiker ist und bleibt man der Rechenknecht der Forscher, wenn man nicht die luxuriöse Stelle eines forschenden Statistikers hat – und die sind rar gesät. Für das Feld ist das ein Verlust, ein herber sogar, für Rainer Lüdtke ist es ein Gewinn, den ihm alle gönnen, die ihn kennen. Der Stifterverband hat sich einen klugen Kopf geangelt, die komplementärmedizinische Szene einen engagierten Mann verloren.

Rainer Lüdtke wird nicht leicht zu ersetzen sein und im Moment ist niemand in Sicht, der diese Rolle ausfüllen kann. Weltweit gibt es nur eine Handvoll von Statistikern, die gut genug ausgebildet sind, um die komplexen Forschungsfragen angemessen betreuen zu können und die gleichzeitig ein Interesse an den Themen haben und die obendrein noch meinungsresistent genug sind, um die immer noch weitverbreitete Skepsis gegenüber diesem Gebiet nicht allzu ernst zu nehmen. Wollen wir hoffen, dass ein naturphilosophischer Grundsatz auch hier gilt:

„Die Natur verabscheut das Vakuum.“

Drum strömt immer etwas nach, wenn irgendwo ein Platz frei wird. So, das hoffen wir, irgendwann auch hier. Im Moment ist ein sehr wichtiger Platz frei geworden und im Moment gilt es, dies auszuhalten. Verbunden mit Dank dem gegenüber, der ihn so lange und so konstruktiv gefüllt hat: Rainer Lüdtke, und verbunden mit den besten Wünschen für seinen weiteren Weg.
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Links zum Thema:

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Der Mann der Zahlen verlässt die Carstens-Stiftung – Rainer Lüdtke wechselt zum Stifterverband, www.carstens-stiftung.de
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Homöopathie und die Placebo-These. Interview mit Dipl.-Stat. Rainer Lüdtke, www.cam-media-watch.de
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Themen: DZVhÄ Homöopathie.Blog | 5 Kommentare »

5 Kommentare to “Rainer Lüdtke – Ein Grußwort zum Abschied und Wünsche für den Weg”

  1. Lothar Brunke schreibt:
    14th.Dezember 2011 um 12:38

    Herzlichen Dank für Ihren Aufritt beim RBB neulich zur Homöopathiediskussion. 20% der Fernsehzuschauer waren überzeugt, dass Homöopathie wirksam sei. Der Rest glaubt es sei Einbildung. Ihr treffender Kommentar dazu: „Was will man von Fernsehzuschauern anderes erwarten!“
    Mit Statistik brauchte man diesen sicher nicht zu kommen. Die verstehen selbst die Fachleute kaum – hinterher wissen sie selbst nicht mehr, wie sie die Statistik verfälscht haben, damit das gewünschte Ergebnis heraus kommt. Positiv ist mir aufgefallen, dass sich der Physikprofessor Mühe gegeben hat, nicht irgendwelche platten Thesen zu vertreten, sondern zumindest den Sachverhalt der Homöopathie weiter zu erfassen. Das war für den Anfang also ganz gut. Weitere Sendungen dieser Art sollten folgen.

  2. Lothar Brunke schreibt:
    20th.Dezember 2011 um 19:25

    Der Lancet behauptet die Placebowirkung homöopathischer Mittel. Ich wolle mir dies angeblichen Studien ansehen. Ist der komplette Beitrag mit den behaupteten Studien im Internet abrufbar?
    http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140673605671772/abstractSind die klinischen Effekte der Homöopathie Placebo-Effekte? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy Vergleichende Studie von Placebo-kontrollierten Studien der Homöopathie und Allopathie
    Vielen Dank für den Hinweis.

  3. Lothar Brunke schreibt:
    24th.Dezember 2011 um 11:10

    Schönes Weihnachtsfest an die Redaktion.
    Gibt es vor Weihnacht einen Kommentarstau?

  4. DZVhÄ Homöopathie.Blog schreibt:
    25th.Dezember 2011 um 10:34

    Nein Herr Brunke, das Blog-CMS hat verschiedene „Instabilitäten“ … u.a. bei der Benachrichtigungs-Funktion für eingehende Kommentare.

    So ging z. B. die Benachrichtigungs-Mail für Ihren Kommentar vom 20. Dezember zunächst nicht ein, kam dann jedoch gemeinsam mit der Benachrichtigung für Ihren gestrigen Kommentar.

    Es geschehen somit noch WUNDER same Dinge … 🙂

    Auch Ihnen:
    FROHE WEIHNACHEN

  5. Lothar Brunke schreibt:
    7th.Januar 2012 um 11:21

    Thelancet.com “The end of homoeopathy” wird gerne als das Ende der wissenschaftlichen Homöopathie verkündet.
    http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140673605671772/abstract
    Ich habe mir jetzt mal die Mühe gemacht den Beitrag durchzulesen. Außer Hinweise auf philosophische Theorien und starke Verdünnungen kann ich substanziell dem Beitrag nichts Wesentliches entnehmen.
    Zusammen gefasst behaupten die Autoren keinesfalls, wie von den Herausgebern marktschreierisch verkündet das Ende der Homöopathie. Sie geben statt dessen zu, dass der Beweis, Homöopathie sei unwirksam, nicht erfolgt ist, betonen jedoch den Glauben und die Beziehung des Behandlers zum Probanden als das entscheidende Heilmittel. Der Lancet hat offensichtlich die Studie hochstilisiert um Stimmung gegen Homöopathie zu machen. Wenn sich die Redakteure ernsthaft um die Wirkungsweise der Homöopathie bemüht hätten, wären die Versuche nach Nash und der von mir vorgeschlagene Versuch analog Nash einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen worden. Diese Versuche sollen gerade die objektive Wirksamkeit der homöopathischen Mittel beweisen. Wissenschaft sieht anders aus.
    Zitat Seite 11:
    We emphasise that our study, and the trials we
    examined, exclusively addressed the narrow question of
    whether homoeopathic remedies have specific effects.
    Context effects can influence the effects of interventions,
    and the relationship between patient and carer might be
    an important pathway mediating such effects.28,29
    Practitioners of homoeopathy can form powerful
    alliances with their patients, because patients and carers
    commonly share strong beliefs about the treatment’s
    effectiveness, and other cultural beliefs, which might be
    both empowering and restorative.30 For some people,
    therefore, homoeopathy could be another tool that
    complements conventional medicine, whereas others
    might see it as purposeful and antiscientific deception of
    patients, which has no place in modern health care.
    Clearly, rather than doing further placebo-controlled
    trials of homoeopathy,3 future research efforts should
    focus on the nature of context effects and on the place of
    homoeopathy in health-care systems.
    Our study powerfully illustrates the interplay and
    cumulative effect of different sources of bias. We
    acknowledge that to prove a negative is impossible,31 but
    we have shown that the effects seen in placebocontrolled
    trials of homoeopathy are compatible with the
    placebo hypothesis.

    Übersetzung:
    Wir betonen, dass unsere Studie, und die Versuche, die wir ausgewertet haben, ausschließlich die begrenzte Frage klären sollten, ob homöopathische Heilmittel spezifische Effekten haben.
    Neben-Effekte können die Effekte des Eingreifens beeinflussen,
    und die Beziehung zwischen Patienten und Behandler könnte ein wichtiger Mechanismus sein, der solche Effekten vermittelt.
    Praktiker der Homöopathie können kraftvolle Verbindungen mit ihren Patienten bilden, weil Patienten und Behandler allgemein starken Glauben über die Wirksamkeit der Behandlung teilen, und anderen kulturellen Glauben teilen, der sowohl ermächtigen als auch stärkend könnte.
    Für einige Menschen konnte deshalb Homöopathie ein anderes Mittel sein, dass herkömmliche Medizin ergänzt, wohingegen andere diese als zweckgerichteten und anti wissenschaftlichen Betrug am Patienten sehen könnten, der keinen Platz in der modernen Gesundheitsfürsorge hat.
    Klar, anstatt weiter Suggestionsmittel-kontrollierte Studien mit der Homöopathie zu durchzuführen, sollten sich zukünftige Forschungsanstrengungen auf die Natur von Zusammenhang-Effekten und auf dem Platz der Homöopathie in Gesundheitsfürsorge-Systemen konzentrieren.
    Unsere Studie illustriert kraftvoll das Wechselspiel und die kumulative Wirkung von verschiedenen Quellen der geistigen Voreingenommenheit. Wir geben zu, dass der Beweis keiner Wirkung unmöglich ist, aber wir haben gezeigt, dass die Effekte, die wir in Placebo¬ kontrollierten Homöopathiestudien gesehen haben, mit der Placebo-Hypothese vereinbar sind.

    Gesundheit und Erfolg im neuen Jahr an die Redaktion.

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